Es ist die dreizehnte Ausgabe dieses Newsletters und schon wiederhole ich mich. Wir müssen noch einmal über Radwege reden.
Also, über einen Radweg.
Denn neulich stand ich eben wieder an
diesem einen neuen Radweg. Wer in Leipzig lebt, kennt ihn (und hat wahrscheinlich auch eine Meinung zu ihm) – den grün bemalten Streifen entlang des Rings, der kurz vor dem Bundesverwaltungsgericht unvermittelt auf der Kreuzung endet. Der Radweg war erstaunlich leer, wie meistens. Und auf dem Ring, der wegen des Radwegs nur noch einspurig ist, stauten sich die Autos.
Ich stellte mir hinter den Lenkrädern der Autos sofort die alleinerziehende Mutter vor. Den überarbeiteten Handwerker. Den Altenpfleger. All die Schicksale also, die einem Autoversteher sofort vorhalten, wenn man als Fahrradversteher für mehr Radwege und weniger Motorverkehr in der Stadt plädiert. Aber obwohl halb Leipzig nun extra für mich im Stau stand, nahm ich wieder den anderen Radweg. Denn, ja: Es gibt hier ja schon einen. Getrennt von der Straße, gleich oberhalb des Rings.
Fassen wir zusammen: Ein neuer Radweg, den fast niemand nutzt. Dafür ein neuer Stau. Ein alter Radweg, der den Zweck des neuen schon erfüllt.
Man könnte auch sagen: Puh! Nicht zufällig streifen viele Gespräche in dieser Stadt derzeit diesen offensichtlich irrsinnigen Radweg. Sein Ruf ist nicht der beste. Sogar Linke, Grüne und SPD
sprechen im Stadtrat inzwischen eher zurückhaltend über ihn. In derselben Reihenfolge: „Es müssen sich erstmal alle daran gewöhnen“, „Die Wege müssen sich erst finden“, „Eine sehr unglückliche Lösung“. Und die Leipziger Handwerkskammer (genau, die Handwerker!) fragte in einem
flehenden Brief den Oberbürgermeister: „Sind wir in dieser Stadtgesellschaft überhaupt noch gewollt?“ Von offenen Briefen der Rentner und Mütter ist noch nichts bekannt, sie würden mich aber nicht wundern.
Es gibt natürlich auch Fürsprecher des Radwegs. Leute, die sagen, die Leute müssten sich eben erst an die neue Route gewöhnen, sie kennenlernen. Bald schon, schwärmen sie, werde sie eine der klimaneutralen Hauptverkehrsadern der Stadt sein.
Ich glaube, dass die Diskussion darüber, wie viel der Radweg genutzt wird, am Kern der Sache vorbeigeht.
Der Radweg, glaube ich, ist gar nicht in erster Linie dafür da, dass man auf ihm fährt. Eher ist er ein Symbol, ein Hinweis. Ein sanfter Puff mit dem Ellenbogen in die Seiten aller Leipzigerinnen und Leipziger, dass man sich bitteschön nicht mit dem Auto durch diese Stadt bewegen soll. Es funktioniert ja: Je mehr Radweg, desto weniger Platz haben die Autos. Dafür muss es nicht einen einzigen Radfahrer geben.
In Paris, wo ich gerade war, funktioniert das schon bestens. Aus Bequemlichkeit oder Prestigegründen fährt hier keiner mehr Auto. Einfach, weil man es meistens gar nicht darf. Oder nur sehr langsam (30 km/h). Und die, die per Sondererlaubnis doch noch fahren dürfen (und ja auch sollen: Anwohner, Mütter, Handwerker, Krankenwagen, Lieferverkehr) kommen jetzt viel schneller voran. Alle gewinnen.
Der umstrittene Leipziger Ring-Radweg ist vor allem ein netter Alibigrund, den Autos ein bisschen mehr auf die Nerven zu gehen, bis sie von ganz alleine verschwinden.
“Nudging” nennt sich das, steht sogar im Duden und meint “eine Strategie zur Verhaltensänderung: Menschen sollen dazu bewegt werden, sich für eine erwünschte Verhaltensweise zu entscheiden, ohne dass dazu Zwang ausgeübt wird.” Leider behandelt und bestraft der Radweg noch alle Autofahrenden gleich, was nicht ganz gerecht ist. Das sollte sich, nach Pariser Vorbild, bitte noch ändern.
Vorgestern wurde der Radweg wieder um einige Meter erweitert. Der Leipziger Verkehrsamtsleiter und der Baubürgermeister
kamen persönlich – auch um mit dem eigenen Rad für ein Foto zu posieren. Das war ganz weise, denn auf den entstandenen Bildern fährt sonst niemand Fahrrad. Dafür ist ein schöner Autostau zu sehen.
Und die beiden Politiker lächeln.
Sie lächeln, als wüssten sie sehr gut, dass es bei manchen Neuerungen gar nicht so wichtig ist, ob alle verstehen, warum es sie jetzt gibt.