Eigentlich hat Luke Mockridge überhaupt nicht viel mit Leipzig zu tun.
Vielleicht ist das auch der Grund, warum dieser Text jetzt gerade gelesen wird. Na gut, das war beabsichtigt. Manchmal muss man ein bisschen tricksen, um die Aufmerksamkeit zu bekommen, die man zu verdienen glaubt. Wie meine Freundin F., die mich kürzlich fragte, ob wir uns treffen und dazuschrieb: „Plus, ich habe eine Verkündung!“
„Plus“ schreibt man heute, wenn man noch etwas ergänzen möchte, das eigentlich nichts zur Sache tut. Ich glaube, ich war schon lange nicht mehr so neugierig auf ein Treffen.
Weniger neugierig bin ich auf den Auftritt von Luke Mockridge heute Abend in der Leipziger Arena. Ich war nie Fan von ihm. Trotzdem werde ich nachher für meine Zeitung hingehen, weil es eine große Debatte um den Auftritt gibt. Vor der Arena und am Hauptbahnhof wollen feministische Aktivistinnen gegen Mockridge demonstrieren. Heute Nachmittag wurde
bereits ein Protestgraffiti von der Arena entfernt. Leipzig wehrt sich gegen Mockridge. Aber natürlich zahlen auch Tausende Eintritt für Mockridge.
Ich glaube, dass man in Leipzig sehen kann, wie man mit solchen Vorwürfen umgehen sollte.
Achja, die Vorwürfe. Die wurden, ganz kurz zusammengefasst, erstmals
im Podcast „Besser als Sex“ (ehemals „Sexvergnügen“) von Mockridges Ex-Freundin Ines Anioli erhoben. Der Comedian, erzählt sie, habe versucht, sie zu vergewaltigen. Danach habe er gesagt: „Boah, ich wollte dich jetzt einfach vergewaltigen.“
Mit dem Podcast war wenig später Schluss. Für Anioli war es kein Vergnügen mehr, über Sex zu sprechen. Ihren Ex-Freund zeigte sie an. Die Ermittlungen wurden eingestellt. Mockridge meldete sich später mit einem
ernsten Statement auf Instagram. Darin erklärt er vor allem eines: „Das habe ich nicht gemacht.“
Seitdem kann man sich zwischen zwei Seiten entscheiden, um auf die Sache zu blicken. Und keine von beiden ist falsch.
Die eine lautet: Das Bestrafungsmonopol hat in unserem Land der Staat – und so lange ein Comedian nicht verurteilt ist, darf man ihn zwar unsympathisch oder sogar unlustig finden, aber man darf ihn nicht zum Täter erklären.
Hier könnte alles enden. Weil auch zwischen den beiden Lagern Aussage gegen Aussage steht.
Wäre da nicht ein Stadtviertel im Leipziger Süden das solche Fälle schon immer völlig anders regelt.
Was, natürlich, problematisch ist. Schon allein, weil nicht klar ist, ob die Betroffenen das überhaupt wollen. Aber gleichzeitig wird in Connewitz ein Problem deutlich, das auch im Fall Mockridge herrscht. Es ist nämlich so, dass Luke Mockridge in Connewitz wohl nicht nur verurteilt, sondern auch bestraft worden wäre. Selbstjustiz ist hier keine theoretische Überlegung. Sie wird regelmäßig praktiziert:
Da war der Barbetreiber, von dem mehrere Frauen erzählten,
er habe sie im Schlaf sexuell bedrängt. Seine Scheiben wurden eingeschmissen, er schloss die Bar und lebt heute in Nordrhein-Westfalen.
Da war der Tätowierer, der seine Kundinnen sexuell belästigt haben soll. Auch die Scheiben seines Studios barsten und bekamen Farbe ab. Er arbeitet inzwischen in einem anderen Studio im Leipziger Osten.
Es gab die Kneipe mit Grill, deren Betreiber mit Neonazis Geschäfte gemacht haben soll. Eines Nachts wurde sein gesamtes Geschäft und die teure Siebträgermaschine
mit Buttersäure verätzt. Die Renovierung dauerte Monate, danach verkaufte er seinen Laden.
Die Angriffe fanden auf derselben Straße statt, nur wenige Hundert Meter voneinander entfernt. Man kann sie verurteilen, ohne die Täter, von denen keiner vor Gericht stand, zu verteidigen. Interessanter finde ich aber eine andere Frage:
Warum wird den Beschuldigten so selten ein Weg aufgezeigt, mit den Vorwürfen gegen sich umzugehen?
Im Fall Mockridge haben nach einer
Recherche des “Spiegel” immer mehr Frauen von schlechten Erfahrungen mit dem Comedian berichtet. Sie haben ihre Berichte eidesstattlich versichert. Werden sie also eines Tages der Lüge überführt, würden sie sich strafbar machen.
Wenn die Vorwürfe also immer mehr und lauter werden: Gehört es dann nicht auch zum Aktivismus, einem angeblichen Täter zu zeigen, was er jetzt tun kann?
Unter dem Hashtag #KonsequenzenfürLuke wird heute gefordert, dass Mockridge nicht mehr auf Bühnen stehen soll. Wahrscheinlich werden sich nie alle einig sein, ob das so richtig ist. Daher ein Vorschlag: Man könnte den Hashtag umdeuten und Ideen sammeln, welche Konsequenzen Männer nach Vorwürfen sexualisierter Gewalt ziehen sollten.
Ja, im Fall des Comedians aus Bonn stünde dann immer noch Aussage gegen Aussage. Es gäbe aber noch einen dritten Gesprächsraum, aus dem alle ein wenig schlauer werden könnten.
Auch Luke Mockridge.