Auf der Sachsenbrücke wurden diese Woche bunte Farbstreifen aufgetragen. Die Streifen heißen „Warming Stripes“, was nach Warnung klingen soll, jedenfalls wäre das vermutlich ihrem Erfinder, dem britischen Klimatologen Ed Hawkins, nicht unrecht, der mit ihnen 2018 den rasanten Verlauf der Erderwärmung auf
seinem Blog visualisieren wollte.
Nun kann man fragen: Wie sinnvoll ist es, Leute, die Fahrrad fahren, wahrscheinlich in Schleußig wohnen und in der Südvorstadt arbeiten, und die nach der Arbeit auf der Sachsenbrücke ein Hanf-Radler trinken, an den Klimawandel zu erinnern? Man könnte auch generell fragen, ob es nicht auch zur Last werden kann, unsere Umwelt mit Schreckensdiagrammen auszukleiden? Als nächstes, sagte meine Freundin Greta, werde man wohl auch an Rissen auf Fußwegen das fortschreitende Artensterben vermerken. Und auf Wasserflecken an Gebäuden könne man ja die aktuelle Coronainzidenz eintragen. Aber all das natürlich nur an Orten, wo ohnehin schon die woke Bubble anwesend ist, die über all das längst Bescheid weiß und dagegen aktiv ist. Nach dem Motto: Indem wir uns sagen wie schlimm alles ist, vergewissern wir uns, wie gut wir sind.
Die „Warming Stripes“ auf der Sachsenbrücke,
schreiben ihre Urheber, sollen „auf die Dringlichkeit aufmerksam machen, mit der wir den Umbau hin zur klimaneutralen Gesellschaft vorantreiben müssen“. Das Geld kommt zur Hälfte von der Stadt, weitere 10.000 Euro hat die Gruppe gecrowdfundet. Stadt und Gesellschaft sind also gleichermaßen von der Idee überzeugt. Zu den Initiatoren gehört auch der Leipziger Ableger der „Parents for Future“. Es gibt Aktivistinnen und Aktivisten, die bezeichnen auch das Kinderkriegen als Klimasünde. Sogenannte Antinatalisten, also klimaschützende Geburtsgegner, argumentieren, dass jedes in die Welt gesetzte Kind jährlich 50 Tonnen CO2 verursacht. Auch Luise Neubauer schreibt darüber in ihrem Buch “
Vom Ende der Klimakrise”.
Spätestens bei diesem Argument hören viele auf, die Verantwortung fürs Klima bei irgendwie uns allen zu sehen. Und zeigen auf Kohlekraftwerke, Ölfirmen, Flugunternehmen. Und da gibt es durchaus Fortschritte. Eine der größten Leipziger Errungenschaften für das Klima ist etwa die Kündigung des Fernwärmeliefervertrags mit dem Kohlekraftwerk Lippendorf. Die Wolken des Kraftwerks kann man beim Baden im Cossi aufsteigen sehen. Bald nicht mehr. Der Grund dafür ist aber nicht, dass im klimabewussten Leipzig weniger geheizt wird – sondern ein
Stadtratsbeschluss.
Noch deutlicher wird es beim Fliegen, das sich vor lauter Flugscham ja eigentlich niemand mehr trauen dürfte. Leider dürfte Flugscham ein sehr elitäres Gefühl sein, denn in den letzten 20 Jahren haben sich die Passagierzahlen in Deutschland verdoppelt. Die spanische Fluggesellschaft Vueling bietet neuerdings sogar Billigflüge von
Leipzig nach Paris an. Ein Ziel also, das man auch problemlos mit dem Zug erreichen könnte. Leider kostet eine Zugfahrt genauso viel wie der Hin- und Rückflug zusammen. Die Flüge scheinen sich zu rentieren. Einen Stadtratsbeschluss gegen Vueling gibt es noch nicht.
Ich glaube, dass der Kampf gegen den Klimawandel nur erfolgreich sein kann, wenn er sich lohnt. Wenn also beispielsweise Bahntickets billiger sind als Zugtickets. Ich bin sehr gespannt wie sich das
Neun-Euro-Ticket, das niemandem das Autofahren verbietet, auf den Straßenverkehr auswirkt. Aber selbst wenn es ein Neun-Euro-Ticket bis nach Paris gäbe, würde ein Hauptverursacher der Klimakrise immer noch nicht mitmachen: Superreiche sind laut einer Oxfam-Studie für 16 Prozent aller Treibhausgase verantwortlich. Ganz Deutschland, zum Vergleich, macht 1,8 Prozent aus. Leute, die zum Feierabend auf der Sachsenbrücke Hanf-Radler trinken, sind da schon mitgerechnet. Superreiche sind ein riesiges Problem, ihnen war ja schon die Corona-Pandemie egal. Sie können es sich auch leisten. Der amerikanische Multimillionär Dan Bilzerian schrieb beispielsweise kürzlich auf Twitter, er werde nie wieder Maske tragen, egal welche Corona-Variante um die Ecke kommt. Auf den Kommentar „Dann wirst du wohl nie wieder fliegen, Kumpel“, antwortete er nur: „
Ich besitze einen Jet.“
Vielleicht kommt uns bei einem kühlen Hanf-Radler an den „Warming Stripes“ ja bald eine Idee, was wir mit rüpelhaften Superreichen wie Bilzerian anstellen, damit sie sich für den Klimawandel begeistern. Wenn das klappt, lasse ich mir bunte Streifen auf den Arm tätowieren.